
Was wir von Pferden nicht über Positive Leadership lernen können

Dr. Markus Ebner , MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells
Wissen Sie, wie viele Bücher es derzeit zum Thema Leadership & Management gibt? Ich verrate es Ihnen: Je nach Sprache können Sie mittlerweile zwischen weitaus mehr als 100.000 Büchern auswählen! Der Markt für Managementliteratur ist unüberschaubar geworden.
Zahlreiche dieser Bücher wurden von Menschen geschrieben, die über ihren eigenen Führungserfolg berichten. Viele davon wurden von Autoren verfasst, die selbst nie geführt haben, aber etwas anderes mit Leidenschaft machen: auf Berge klettern, Marathons laufen, ihre eigene Bestimmung im Leben suchen. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Bücher wurde von Menschen verfasst, die mit Pferden arbeiten.
Führungskräfte können nun also auswählen, ob ihre Mitarbeiter eher wie eine Felswand oder wie Pferde sind – und sich das passende Buch dazu kaufen. Ganz ohne Ironie: Natürlich können diese Bücher als Inspiration dafür dienen, über das eigene Führungsverhalten nachzudenken. Sinnvoller erscheint es mir dennoch, sich mit Führungsansätzen vertraut zu machen, die in Unternehmen und Organisationen, also mit „echten Menschen“ bereits erfolgreich umgesetzt werden.
Ein Führungsstil hat dabei in den letzten Jahren einen besonderen Hype erlebt: Positive Leadership. Was von diesem Ansatz ist Mythos und was Realität? Die Universität Wien, an der ich unterrichte, hat sich vor einigen Jahren der sogenannten „Third Mission“ verschrieben (https://thirdmission.univie.ac.at/). Dabei geht es unter anderem darum, neben Forschung und Lehre wissenschaftlich fundiertes Wissen und Praxis besser zu verknüpfen.
Vor über 10 Jahren habe ich begonnen, Positive Leadership zum Inhalt meines beruflichen Lebens zu machen. Einerseits als Wissenschaftler und Organisationspsychologe, um die Wirkung fundiert zu erforschen. Andererseits als Praktiker, um als Coach und Trainer mit zahlreichen Führungskräften und Unternehmen diesen Ansatz in der Praxis zu überprüfen und zu integrieren. Viel Sinnvolles und absolut Erfolgreiches, aber auch viel Unsinn, der unter dem Deckmantel von Positive Leadership verbreitet wird, sind mir dabei begegnet.
Für diesen und die nächsten Blogs habe ich mir daher zum Ziel gesetzt, ganz im Sinne der „Third Mission“, allen die selbst führen oder mit Führungskräften arbeiten rund um das Thema Positive Leadership spannendes Wissen aufzubereiten und praktisches Werkzeug dazu in die Hand zu geben.
Die Wurzeln von Positive Leadership
„Jede personelle Einschätzung und Beurteilung muss sich in allererster Linie darauf beziehen, wozu ein Mensch in der Lage ist. Ein Mitarbeiter sollte daher niemals mit einer Führungsaufgabe betraut werden, wenn er sich mit den Kompetenzdefiziten seiner Leute abplagt, statt deren Stärken zu nutzen.“
Man könnte meinen, dieser Satz stammt von einem verklärten Sozialromantiker, der sich noch nie mit realen Organisationen oder gar Führungsaufgaben beschäftigt hat. Aber weit gefehlt! Tatsächlich stammt die Aussage von Peter Drucker (1909-2005), einem der bekanntesten US-amerikanischen Ökonomen mit österreichischen Wurzeln. Er gilt als der Pionier der modernen Managementlehre und seine Werke wurden über 5 Millionen Mal verkauft.
Der Ansatz „Führen durch Zielvereinbarung“ oder Management by objectives (MbO) wurde von ihm in den 1950er Jahren entwickelt und ist noch heute eine weit verbreitete Methode der Mitarbeiterführung.
Auf Stärken setzen ist also ein Führungsansatz, der bereits vor Jahrzehnten in gängigen Managementtheorien beschrieben wurde. Die Wurzeln des heutigen Positive Leadership-Ansatzes sind allerdings andere, sie kommen direkt aus der Wissenschaft – konkret aus der organisationspsychologischen Forschung. Doch alles der Reihe nach:
Positive Psychologie: Das Gelingen erforschen
Es war das Jahr 1999. Martin Seligman, einer der weltweit renommiertesten Universitätsprofessoren wurde zum Präsidenten der American Psychological Association, dem größten und einflussreichsten Dachverband für Psychologen. Bei seiner Antrittsrede kritisiere er, dass sich die wissenschaftlich fundierte Psychologie bis dato nur mit einem Teil der Menschen beschäftigt hat: Nämlich mit denen, die leiden. Aber wenn nun ein Mensch kommt und meint, dass in seinem Leben eigentlich alles gut sei, dann habe die Psychologie wenig wissenschaftlich fundiertes Wissen für ihn anzubieten, um sein Leben zu bereichern. Und so rief Seligman die in der Wissenschaft tätigen Psychologen dazu auf, auch jene Menschen zu beforschen, die glücklich, stark, erfolgreich und lebensfroh sind und den Herausforderungen und Widrigkeiten des Lebens ohne nachhaltige Schädigung begegnen. Als Name für diesen Ansatz wurde „Positive Psychologie“ gewählt, die sich als Ergänzung zur klassischen Psychologie (und nicht zu einer wie man vermuten könnte negativen Psychologie) mit den positiven Dingen des Lebens beschäftigt. Dass er damit eine gewaltige und nachhaltige Strömung in der Psychologie und später auch in anderen Bereichen auslösen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt sicherlich noch nicht ahnen.
Die Logik dahinter war, dass die Abwesenheit von etwas Negativem nicht zwangsläufig zu etwas Positivem führt. So bedeutet die Abwesenheit von Depression, Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen nicht, dass man die höchste Stufe an Lebenszufriedenheit, Glück und Sinnhaftigkeit verspürt. Man kann sich die Logik anhand einer Skala vorstellen, die von minus 10 bis plus 10 reicht. Null wäre dabei eine neutrale Situation, bei der man weder leidet, noch besondere Freude erlebt.
Die klinische Psychologie hat daher die Aufgabe, Diagnosemöglichkeiten, Interventionen und Behandlungen zu entwickeln, die für Menschen im Minusbereich hilfreich sind. Die Positive Psychologie ergänzt nun mit Diagnosemöglichkeiten, Interventionen und einfachen Techniken, die wissenschaftlich fundiert und für Menschen in alltäglichen Lebenssituationen gedacht sind. Damit sind Menschen gemeint, die keine klinisch diagnostizierbare Leidenssituation aufweisen und dennoch von den Methoden der Psychologie profitieren wollen. Im Sinne dieser Ergänzung stellt die Positive Psychologie beispielsweise die Frage, wie zufriedene und glückliche Menschen Ereignisse reflektieren bzw. auf Erlebtes zurückblicken und wie sich diese Art der Rückschau auf zukünftige Wahrnehmungen, Interpretationen und Handlungen auswirkt. Der daraus resultierende Schritt ist die Entwicklung von Methoden und deren evidenzbasierte Evaluierung, um daraus abzuleiten, was Menschen sinnvoll und wirkungsvoll in ihr Leben integrieren können.
Ausbrennen oder wachsen?
Neben diesen Themen hat man auch begonnen, sich mit der systematischen Beforschung von resilienten Menschen zu beschäftigen, also Menschen, die trotz potentiell schädigenden Lebens- und somit auch Arbeitsbedingungen gesund bleiben. Ich möchte Ihnen das an einem konkreten, spannenden Beispiel aufzeigen: Bereits in den 1970-iger Jahren, also lange vor Begründung der Positiven Psychologie, war Burnout ein großes Thema, das insbesonders in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit Pflegeberufen thematisiert wurde. In der aktuellen deutschen Adaptation des ICD-10-GM (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) gehört Burnout zur Kategorie Z73 als „Ausgebranntsein“. In der Literatur und in der Forschung finden sich Beschreibungen und Analysen zu verschiedenen Stadien, Verläufen und Entstehungsbedingungen. Und dieser Teil der Forschung ist sehr wichtig! Doch was ist mit jenen Menschen, die in einem hoch Burnout-gefährdetem Beruf oder Umfeld arbeiten und nicht ausgebrannt sind? Gibt es vielleicht sogar Menschen, die erst in diesem Umfeld so richtig aufblühen und sich sogar weiterentwickeln?
Genau mit diesen Menschen beschäftigt sich die Positive Psychologie, um herauszufinden, welche Sichtweisen, Handlungen (die in der Psychologie Coping-Strategien genannt werden) oder andere Ressourcen es sind, die in schwierigen bis hin zu pathologischen Situationen stützen oder sogar zu Wachstum führen. Die aktuelle Forschung lässt sogar vermuten, dass potentiell schädigende Situationen bei weniger Menschen zu einem posttraumatischen Belastungssyndrom führen, als sie möglicherweise mehr Menschen dabei unterstützen, zu wachsen und zu reifen. Der Fachausdruck für dieses Phänomen ist posttraumatisches Wachstumssyndrom. Diese Erkenntnisse haben Auswirkungen auf die Arbeitswelt! Welche Arbeitsbedingungen braucht es, dass Unternehmen und ihre Menschen ihr Potential entfalten und sich nachhaltig vom Durchschnitt abheben – ohne dabei auszubrennen? Was konkret machen Führungskräfte, deren Mitarbeiter nicht nur überdurchschnittlich engagiert, sondern auch überdurchschnittlich zufrieden sind? Dieser Frage sind weltweit eine Menge Forscher nachgegangen. Und wir haben eine Menge Antworten gefunden. Welche das sind, möchte ich Ihnen in den nächsten Folgen dieser Serie zeigen.
Deutscher Begriff
Über den/die Autor*in
Dr. Markus Ebner, MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells
Er unterrichtet an mehreren Universitäten und Fachhochschulen den Schwerpunkt Führung, hat in diesem Bereich zahlreiche Bücher und Publikationen verfasst und verfügt über Zusatzausbildungen in Coaching, Supervision, Krisenintervention, Sozialpädagogik sowie Organisations- und Teamentwicklung. Neben seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Trainer, Coach und Berater ist er der Begründer des PERMA-Lead Modells und als einer der namhaften europäischen Experten für Positive Leadership im Board of Directors des Österreichischen Dachverbands für Positive Psychologie. 2021 wurde er für seine Arbeit vom Weltdachverband für Positive Psychologie (IPPA) mit dem „Exemplary Research to Practice Award“ ausgezeichnet.