Sinn in der Arbeit finden – aber wie?
Dr. Markus Ebner , MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells
Die Beschäftigung mit dem Thema „Sinn im Arbeitsleben“ ist nicht neu. Bereits Karl Marx sprach in seinem ideologischen Zugang von einer Arbeitsentfremdung, wenn es zu einer Abspaltung des Arbeiters vom Produkt, von der Arbeitstätigkeit und von den anderen Mitarbeitern kommt. Die Studienergebnisse der kanadischen Wissenschaftlerin Amanda Shantz machten deutlich, dass Marx recht hatte. Wenig Erleben von Sinn in der Arbeit führt zu Arbeitsentfremdung, was emotionale Erschöpfung und ein niedrigeres Wohlbefinden zur Folge hat.
Wodurch entsteht Sinn in der Arbeit? Eine Studie der Montana State University zeigt, dass es vier verschiedene Varianten gibt, durch die Menschen ihre Arbeit als sinnvoll erleben können.
Die Person selbst kann die Ursache für die erlebte Sinnhaftigkeit sein.
Dazu gehören individuelle Werte, intrinsische Motivationen und welche Bedeutung jemand der Arbeit generell in seinem Leben gibt. So macht es einen Unterschied, ob jemand Arbeit als Notwendigkeit einer Berufsausübung oder als Berufung sieht. Dadurch ergibt sich auch, welchen Stellenwert Arbeit im Leben eines Menschen im Verhältnis zu anderen Aspekten des Lebens, wie Familie, Freizeit, Religion usw., hat.
Andere Personen können die Ursache für erlebte Sinnhaftigkeit sein.
Eine enge Beziehung zu Arbeitskollegen erhöht die wahrgenommene Sinnhaftigkeit der Arbeitstätigkeit. Kollegen haben hier auch eine ‚ansteckende‘ Wirkung. Studien zeigen, dass in guten Arbeitsbeziehungen Sinnhaftigkeit, die Kollegen im Arbeitskontext erleben, beobachtet wird und sich diese auf die eigene Person übertragen kann. Führungskräfte beeinflussen die erlebte Sinnhaftigkeit enorm. Sie geben in der Regel den Rahmen vor und schaffen eine Unternehmensidentität, in deren Kontext das Sinnerleben der Mitarbeiter beeinflusst wird.
Der Arbeitskontext kann die Ursache für erlebte Sinnhaftigkeit sein.
Dazu zählt beispielsweise die Mission eines Unternehmens. So kann es für die Mitarbeiterin in der Buchhaltung einen Unterschied machen, ob sie diesen Job in einem gewinnorientierten Automobilkonzern oder in einer Tierschutzorganisation ausübt, selbst wenn die Tätigkeit dieselbe ist.
Spiritualität kann die Ursache für erlebte Sinnhaftigkeit sein.
Besonders in säkularen Kulturkreisen, wie den europäischen Ländern oder den USA, mag der Gedanke, dass Spiritualität in Zusammenhang mit Arbeitssinn gebracht wird, auf den ersten Blick befremdlich erscheinen. Viele Führungsansätze, die den Aspekt der Sinnhaftigkeit beinhalten, haben ihren Ursprung in säkularen Ländern, meist in den USA. Dabei wurde völlig vergessen, dass in zahlreichen Ländern der Erde Arbeitsleben, Privatleben und Religion als ein Ganzes gesehen werden, was klarerweise Einfluss auf das Sinnerleben im Arbeitsbereich hat. Eine Studie zu den PERMA-Faktoren, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten durchgeführt wurde, macht beispielsweise deutlich, dass Sinn in diesem Kulturkreis nicht nur durch die Religion selbst definiert wird, sondern Sinn auch erlebt wird, wenn religiöse Moralvorstellungen gelebt werden können – auch am Arbeitsplatz.
Ich bin dann mal weg...
Fragen Sie sich selbst: Was treibt Sie an, jeden Tag zur Arbeit zu gehen? Schlichtweg weil Sie Geld verdienen müssen, um Ihre Rechnungen zu bezahlten? Oder gibt es einen tieferen Grund? Etwas, das Sie bewegen, verändern, gestalten oder weiterentwickeln und das für Sie einen tieferen Sinn ergibt?
Eine Studie aus dem Jahr 2015 befragte unzufriedene Arbeitnehmer. Unzufriedenheit im Job bedeutet in diesem Fall, dass die meisten Mitarbeiter ihre Zeit bereits darin investieren, ihren Ausstieg zu planen.
Spannend sind nun die Gründe für den Wechsel. Als Hauptgrund, seine bisherige Arbeitsstelle zu verlassen, wurde „Mangelnde Sinnkopplung und Bedeutung der Arbeit für die Gesellschaft“ mit einer Bewertung von 55 Prozent angegeben. Direkt gefolgt von Sorge um die eigene Gesundheit (46 Prozent) und dem Gefühl, sich bei der Arbeit verstellen zu müssen (39 Prozent). Noch stärker zeigt sich die Bedeutung von Sinn in der Arbeit bei der Frage, nach welchen Kriterien diese Personen ihren neuen Arbeitsplatz auswählen. Mit 79 Prozent wurde die „Sinnhaftigkeit und Bedeutung für die Gesellschaft“ als Hauptkriterium genannt.
Doch was mit jenen, die unzufrieden sind und bleiben? Bleiben unzufriedene Mitarbeiter aus Loyalität zum Unternehmen? Eher nicht. Beinahe zwei Drittel jener, die bleiben, machen das ausschließlich aus ökonomischen Gründen. Natürlich wirkt es sich günstig auf die Fluktuation aus, wenn das Gehalt ein guter Grund ist, im Unternehmen zu bleiben. Ob man sich so allerdings die motiviertesten, engagiertesten Mitarbeiter behält, die dazu beitragen, das Unternehmen zur Exzellenz zu führen, bezweifle ich.
Möglicherweise werden Sie sich kaum vorstellen können, dass diese Zahlen stimmen. Vor allem dann nicht, wenn sie nicht mit Ihrer eigenen Lebenserfahrung und Berufsmotivation zusammenpassen. Bedenken Sie: Diese Zahlen sind Mittelwerte, Trends, und beinhalten natürlich auch, dass es Menschen gibt, denen Sinnhaftigkeit weniger oder mehr wichtig ist als dem Durchschnitt. Tatsache ist, dass wir in den industrialisierten Ländern gerade eine stille Revolution in der Arbeitswelt erleben. Verglichen mit der Generation, die bald ihren Ruhestand genießen wird, haben die jüngeren Menschen ziemlich andere Erwartungen an ihre Karriere. Bei den Karriereerwartungen werden als höchste Werte erlebte Sinnhaftigkeit (71 Prozent) und die Gelegenheit, einen positiven sozialen Einfluss auszuüben (64 Prozent), angegeben.
Der Artikel beschreibt ausgewählte und gekürzte Auszüge aus dem Bestseller „Handbuch Positive Leadership“ von Markus Ebner. Das Buch, mit mehr als 600 aktuellen Studienergebnissen, zahlreichen praktischen Tipps, Techniken und Methoden zu Positive Leadership sowie Gastbeiträgen von 10 Unternehmen wie Lidl, IKEA, DM, und anderen gibt es in jeder Buchhandlung und auf AMAZON zum Bestellen: https://www.amazon.de/Positive-Leadership-Erfolgreich-führen-PERMA-Lead/dp/3708916867 Das Buch erscheint im September 2020 auch auf Englisch.
Über den/die Autor*in
Dr. Markus Ebner, MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells
Er unterrichtet an mehreren Universitäten und Fachhochschulen den Schwerpunkt Führung, hat in diesem Bereich zahlreiche Bücher und Publikationen verfasst und verfügt über Zusatzausbildungen in Coaching, Supervision, Krisenintervention, Sozialpädagogik sowie Organisations- und Teamentwicklung. Neben seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Trainer, Coach und Berater ist er der Begründer des PERMA-Lead Modells und als einer der namhaften europäischen Experten für Positive Leadership im Board of Directors des Österreichischen Dachverbands für Positive Psychologie. 2021 wurde er für seine Arbeit vom Weltdachverband für Positive Psychologie (IPPA) mit dem „Exemplary Research to Practice Award“ ausgezeichnet.