
Positive Leadership: Wie Führungskräfte in die Durchschnittstabelle fallen

Dr. Markus Ebner , MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells
Die Sichtweise der Positiven Psychologie hat rasch angrenzende Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Neurowissenschaften und viele andere inspiriert. So gibt es beispielsweise in der Pädagogik unter der Leitung des amerikanischen Forscher Alejandro Adler spannende Projekte, die zeigen, dass eine Fokussierung auf die Stärken die Schulnote in Mathematik signifikant verbessern kann. Das Wissen und der gezielte Einsatz von eigenen Stärken ist somit der Schlüssel, sein Potential zu entfalten.
In der Führungsforschung wurde unter dem Begriff „Positive Leadership“ ein ressourcen- und stärkenorientierter Führungsansatz entwickelt. Die Praxis zeigt nämlich, dass Führung allzu oft defizitorientiert ist. Das wird bereits bei den Rückmeldungen deutlich, die Führungskräfte kommunizieren: Feedback ist oft schwächenorientiert und wird überwiegend dann gegeben, wenn etwas nicht passt. Führung wird daher allzu oft fälschlicherweise so verstanden, dass überwiegend Defizite erkannt und bearbeitet werden sollen. Zusätzlichen Kompetenzen und Begabungen oder dem, was überdurchschnittlich gut gelungen ist, wird wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das führt im ungünstigen Fall dazu, dass Menschen in einem Unternehmen sich ihrer Stärken gar nicht mehr bewusst sind.
Dass die defizitorientierte Sichtweise kein Phänomen dieses Jahrzehnts ist, zeigt die Feststellung des weltbekannten Ökonomen Peter Drucker:
„Most Americans do not know what their strengths are. When you ask them, they look at you with a blank stare, or they respond in terms of subject knowledge, which is the wrong answer.“
Unzählige Studien machen mittlerweile deutlich, dass Führungsverhalten einen starken Einfluss auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Und nicht nur das! Studien, die im Pflegebereich durchgeführt wurden zeigen, dass der Führungsstil nicht nur die direkt geführten Personen, sondern auch deren Patientinnen und Patienten beeinflusst. Das zeigt beispielsweise eine großangelegte Metastudie, die 2013 von der University of Western Ontario veröffentlicht wurde. Dabei wurden Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten im Pflegebereich und verschiedenen patientenrelevanten Faktoren erhoben. Die Ergebnisse zeigen signifikante Zusammenhänge zwischen Führungsstil und Patientenzufriedenheit, Mortalität und Medikationsfehlern.
Das Gelingen erforschen
In der Organisationsforschung begann man analog zu den Ansätzen der Positiven Psychologie jene Unternehmen bzw. Bereiche in Organisationen zu analysieren, die überdurchschnittlich gut funktionieren – sogenannte High Performance Bereiche. Das ist relativ einfach, weil sie sich mit „harten“ Kennzahlten definieren lassen: Fluktuation, Abwesenheiten, Leistung, usw. So banal diese Herangehensweise klingt, so ungewöhnlich ist sie in der täglichen Organisationspraxis. Überlegen Sie selbst, wie oft Sie analysieren, warum ein Problem aufgetreten ist, wer daran schuld war, welche Inkompetenzen sich gezeigt haben – und wie oft Sie mit der gleichen Intensität analysieren, warum etwas erfolgreich funktioniert hat, wer welchen Beitrag dazu geleistet hat und welche Kompetenzen dabei sichtbar wurden? Die meisten Menschen tendieren dazu, Misserfolge und dessen Zutaten genau zu betrachten und sich über Erfolge bestenfalls zu freuen, ohne eine genaue Erfolgsanalyse anzuschließen. Das ist aber wichtig um herauszufinden, was beibehalten oder verstärkt werden soll, damit diese Erfolge repliziert werden können
Bereits die ersten Positive Leadership Forschungen haben aufgezeigt, dass High-Performance Bereiche nicht (nur) dadurch gut sind, dass sie weniger Probleme machen als Low-Performance Bereiche. Vielmehr zeigte sich, dass es zusätzliche Komponenten sind, die zum überdurchschnittlichen Erfolg führen! Um diese Dynamik noch verständlicher zu machen, möchte ich eine Analogie zu Paarbeziehungen aufzeigen: Wenn Sie scheiternde oder schlechte Beziehungen beobachten, um festzustellen was dort schiefläuft, können Sie diese Fehler in Ihrer eigenen Beziehung vermeiden. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Ihre Beziehung dann eine besonders glückliche und erfüllende sein wird, sondern dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht scheitern wird. Aus der Analyse von Fehlern lernen wir also, Fehler zu vermeiden. Nicht mehr und nicht weniger. Und dieser Teil ist wichtig. Um allerdings Anregungen zu bekommen, wie Ihre eigene Beziehung besonders erfüllend werden kann, ergibt es Sinn, andere Paare genau zu beobachten, die besonders glücklich sind. Aus beiden Beobachtungsvarianten können Sie lernen. Aus der Ersten, was Sie besser vermeiden sollten und aus der Zweiten was sie zusätzlich (mehr) in ihre Beziehung integrieren sollten.
Genau die gleiche Logik findet sich, wenn High-Performance Unternehmen analysiert werden. Die Frage, die sich dabei stellt, ist also, was diese Unternehmen oder Abteilungen machen, dass sie so erfolgreich sind. Mit diesem Zugang wurde beispielsweise sichtbar, was Teammitglieder in High-Performance Unternehmen oder Abteilungen innerhalb einer Organisation als selbstverständlich erleben: Nämlich einen toleranten Umgang mit Fehlern, ein gezieltes Einsetzen der Stärken und Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein Einbinden bei Entscheidungen, Feedbackkompetenz, eine wertschätzende Haltung zu unterschiedlichen Herangehensweisen (Stichwort Diversität!), die Wahrnehmung von Personen in Unternehmen als Individuen statt austauschbarer Zahnräder und vieles mehr.
Sind nur Defizite Entwicklungsfelder?
Man sollte meinen, dass Führungskräfte die Kompetenzen ihrer Teammitglieder optimal nützen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass dies selten der Fall ist und Führung allzu oft defizitorientiert stattfindet: Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beklagen, dass sie meist nur Feedback bekommen, wenn etwas nicht optimal gelaufen ist. Jährliche Mitarbeitergespräche zeigen die aktuellen „Entwicklungsfelder“ auf und daraus werden Personalentwicklungsmaßnahmen abgeleitet. Was aber in der Regel vernachlässigt wird sind „genützte und ungenützte Kompetenzfelder“. Das ist schade, weil gerade dort Potential schlummert, das bereits vorhanden ist und nur noch im Sinne des Unternehmens genützt werden müsste. Diese Einschätzung wird durch eine Gallup-Studie aus dem Jahr 2011 untermauert, bei der 80.000 Manager/innen befragt wurden: Ein Großteil gab an, dass ihrer Ansicht nach der größte Raum für Leistungssteigerung in den Schwächen von Menschen liegt. Dabei führt ausschließlich defizitorientierte Personalentwicklung direkt in die „Durchschnittsfalle“.
Mit diesem Kunstwort beschreibt der Humangenetiker Markus Hengstschläger den Trend, Defizite auszugleichen, ohne Stärken zu fördern. Noch pointierter könnte man sagen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden so lange entwickelt, bis sie unsichtbar sind. Und zwar in dem Sinn, dass Sie nicht mehr durch Fehler oder Defizite auffallen. Personalentwicklung endet also dort, wo die betroffene Person einen bestimmten Benchmark erreicht hat. Personalentwicklung, die dem Positive Leadership-Ansatz folgt, geht hier allerdings weiter, es werden nämlich zusätzlich Programme entwickelt, um Stärken zu identifizieren und zu fördern. Die Abbildung zeigt deutlich die Analogie zwischen Positiver Psychologie und Positive Leadership auf. Es geht daher nicht um ein „entweder – oder“, sondern vielmehr um ein „und“ als Ergänzung zum klassischen Führen.
Positive Leadership wirkt messbar
Die Führungsforschung kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass sich Positive Leadership für alle Beteiligten rechnet. So zeigen mittlerweile zahlreiche Studien zu dem Thema, dass sich Positive Leadership signifikant auf die Positivität, die Kreativität und die Leistung sowie auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirkt. Für die Organisation besteht der Vorteil darin, dass die Effektivität und Performance der Gesamtorganisation steigt, wie eine Studie des Teams rund um Kim Cameron an der Universität von Michigan zeigt. Auch andere Studien zeigen, dass ein „mehr“ an Positive Leadership und ein „weniger“ an ungünstigen Verhaltensweisen wie Kündigungsabsichten und Arbeitsplatzsuche sowie eine geringere Anzahl an Stresssymptomen miteinander korrelieren.
Unsere eigenen aktuellen Forschungsergebnisse zeigen, dass Positive Leadership und die Anzahl der Krankenstandstage bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter signifikant zusammenhängen. Ein weiteres vor kurzem von uns abgeschlossenes Projekt zeigt deutlich, dass die Burn-Out Gefährdung der Mitarbeiter beinahe dreimal so hoch ist, wenn deren Führungskräfte wenig Positive Leadership Verhalten zeigen!
Aber auch die Führungskräfte selbst werden durch ihr eigenes Positive Leadership-Verhalten beeinflusst: So steigt das Engagement bei der Führungskraft, je stärker ihre Ausprägung in Positive Leadership ist. In einer von uns vor einigen Jahren durchgeführten Erhebung, bei der wir rund 1000 Führungskräfte befragten, konnten wir zeigen, dass Positive Leader ihre Arbeit als signifikant weniger belastend empfinden. Derzeit führen wir eine Replikationsstudie durch, die auf gleiche Ergebnisse hinweist.
Was genau ist nun Positive Leadership?
Die Definition von Positive Leadership ist allerdings nicht einheitlich. Es haben sich im Laufe der Jahre unterschiedliche Modelle herausgebildet, die überwiegend von Managementwissenschaftlern entwickelt und/oder intuitiv zusammengestellt wurden. Manche Modelle wurden beispielsweise konzipiert, indem Fokusgruppen definierten, welches Führungsverhalten zu einer positiven Emotion bei Mitarbeitern führt, oder es wurde eine Führungskraft mit optimistischer Einstellung als positive Leader bezeichnet. In anderen Studien wurden transformationales oder authentisches Führen oder Aktivitäten, die zur Erreichung eines Ziels führen, als Positive Leadership bezeichnet. Moralische bis hin zu spirituellen Aspekten finden sich ebenfalls in der Beschreibung dieses Führungsstils wieder. Ein direktes Ableiten aus Modellen der rasch wachsenden Positiven Psychologie ist dabei nicht immer feststellbar. Vielmehr haben sich verschiedene Positive-Leadership-Ansätze parallel zur Positiven Psychologie entwickelt, die zwar klare Berührungspunkte aufweisen, aber bis vor kurzem keine Weiterentwicklung eines gängigen Modells der Positiven Psychologie aufweisen.
Diese Heterogenität der Definitionen mag auf den ersten Blick für Praktiker unwesentlich erscheinen. Sie ist allerdings hochrelevant, denn gerade für Führungskräfte geht es ja darum, praktische Konsequenzen und konkretes Führungsverhalten aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen abzuleiten. Wenn Sie zum Beispiel lesen, dass sich Positive Leadership günstig auf die Fluktuation auswirkt, dann müssten Sie zuerst recherchieren, was die Forscher in dieser Studie überhaupt unter Positive Leadership verstanden haben, um zu wissen, was Sie konkret tun sollten. Und wer macht das schon?
Wir machen das! Und haben das auch in den letzten Jahren gemacht. Die angewandte Organisationspsychologie beschäftigt sich nämlich damit, Forschung und Praxis zu verknüpfen. Welche wissenschaftlich gesicherten Tipps wir Führungskräfte geben können, um die erwünschten Wirkungen von Positive Leadership zu erreichen, zeige ich Ihnen in den nächsten Blogs.
Über den/die Autor*in
Dr. Markus Ebner, MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells
Er unterrichtet an mehreren Universitäten und Fachhochschulen den Schwerpunkt Führung, hat in diesem Bereich zahlreiche Bücher und Publikationen verfasst und verfügt über Zusatzausbildungen in Coaching, Supervision, Krisenintervention, Sozialpädagogik sowie Organisations- und Teamentwicklung. Neben seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Trainer, Coach und Berater ist er der Begründer des PERMA-Lead Modells und als einer der namhaften europäischen Experten für Positive Leadership im Board of Directors des Österreichischen Dachverbands für Positive Psychologie. 2021 wurde er für seine Arbeit vom Weltdachverband für Positive Psychologie (IPPA) mit dem „Exemplary Research to Practice Award“ ausgezeichnet.