
Positive Leadership an Schulen

Dr. Markus Ebner , MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells

Univ. Prof. Dr. Thomas Götz
Bildungspsychologe - Institutsvorstand an der Universität Wien
Frau Müller ist seit vielen Jahren Lehrerin an einer Schule in Haveldorf. Was sie besonders gut kann, ist SchülerInnen zu motivieren und zu inspirieren. Sie blüht auch förmlich auf, wenn ihr das gelingt. Seit einiger Zeit stellt sie allerdings auch fest, dass ihr das normale Unterrichten langweilig wird. Immerhin macht sie das schon seit vielen Jahren. Ihrer Direktorin fällt das auf und sie ermutigt Frau Müller, ihre Stärke in diesem Bereich auszubauen, in dem sie es ihr ermöglicht, bei der Entwicklung von Motivationsprogrammen für Schülerinnen mitzuwirken und Vorträge zu Motivation zu halten. Frau Müller ist davon selbst so motiviert, dass sie sich noch stärker in der Rolle als Lehrerin engagiert und dazu beiträgt, dass SchülerInnen eine bessere Lernumgebung und -erfahrung haben.
Ein alltägliches Beispiel, dass wir alle aus Schule kennen? Leider nein, sondern frei erfunden.
Positive Leadership – ein relevantes Thema für Schulen!
Viele LeserInnen der Blogs kennen Positive Leadership als einen modernen Führungsstil, der sich an den Stärken der Mitarbeitenden orientiert und bereits in zahlreichen Unternehmen erfolgreich praktiziert wird. An Schulen ist dieser Führungsstil bisher jedoch noch weitgehend unbekannt. Spannend ist dabei, dass es eine Menge an Methoden und Forschungsarbeiten aus der Positiven Psychologie gibt, die sich auf SchülerInnen beziehen. Die Schule aus der Perspektive einer Arbeitgeberin für Lehrerinnen, und die Wirkung der Organisation auf sie, steht sehr selten im Fokus.
Daher wollen wir mit unserer derzeitigen Forschung in diesem Bereich zukünftig zu evidenzbasierten Ergebnissen bezüglich der Wirkung von Positive Leadership als Führungsstil in Schulen beitragen. Der Begriff „Positive Leadership“ wurde wesentlich durch den Wirtschaftsprofessor Kim Cameron geprägt. Er übertrug die Denkweisen der sogenannten „Positiven Psychologie“, einer Psychologie, die sich primär auf die Förderung der Stärken der Menschen konzentriert, auf Unternehmen. Auf den schulischen Kontext übertragen bedeutet dies, dass sich Schulleitungen der spezifischen Stärken der dort tätigen LehrerInnen bewusst werden und diese entsprechend fördern. Das heißt, dass neben dem sicherlich häufig notwendigen Beheben von Problemen auch die Förderung der Potentiale einer Schule im Zentrum der Schulleitung steht. In unserer Arbeit orientieren wir uns am PERMA-Lead Modell, einem handlungsortientierten Positive Leadership Ansatz, der in weiterer Folge genauer erklärt wird.
Potentialentfaltung an Schulen braucht PERMA
Für Schulleitungen stellt sich die Frage, was sie konkret in ihrer Organisation dazu beitragen, damit sich Potentiale entfalten können. Antwort auf diese Frage gibt das sogenannte „PERMA-Modell“. Es wurde vor mehr als 10 Jahren entwickelt und wird heute als Standard für die Potentialentfaltung in Organisationen gesehen. Jeder Buchstabe von PERMA steht für einen der notwendigen Faktoren, die dazu führen, dass Menschen ihr Potential entfalten können:
Positive Emotions (positive Emotionen): Das regelmäßige Erleben positiver Gefühle wie Freude, Stolz, Hoffnung oder Dankbarkeit ist ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden. Es geht dabei um Emotionen, die uns stärken und die wir als angenehm erleben. Beispiele an Schulen: Freude am Unterrichten und an der Unterrichtsvorbereitung, Stolz bei positiven Entwicklungen einer Klasse, Hoffnung auf eine gute Lösung bei innerschulischen Problemen (z.B. Mobbing), Dankbarkeit dafür empfinden, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben.
Engagement (Engagement; sich einbringen können): Menschen brauchen einen Rahmen, in dem sie sich engagieren und ihre individuellen Stärken entfalten können. Ideal ist, wenn für sie ein adäquates Maß an Herausforderung geschaffen wird, bei dem sie weder unter- noch überfordert sind. Beispiele an Schulen: individuell adäquate Freiräume für Lehrkräfte, Rahmenlehrpläne statt zu starre Vorgaben, keine Überforderung der Lehrkräfte durch z.B. zu viele/komplexe Aufgaben, keine Unterforderung der Lehrkräfte durch z.B. zu monotone Aufgaben.
Relationships (förderliche Beziehungen): In ein Netzwerk eingebunden zu sein, um sich als Teil davon zu erleben und sich auf andere verlassen zu können, ist eine wichtige Basis, damit Menschen ihr Potential entfalten. Ob Freundschaften, Liebesbeziehungen, ein Arbeitsteam oder die Familie – Menschen brauchen eine Verbundenheit zu anderen. Beispiele an Schulen: Jahrgangsstufenteams, Fachschaften, Supervisions- und Intervisionsgruppen, Exkursionen, Entwicklungsteams, gemeinsame Unternehmungen ohne direkten Arbeitsbezug.
Meaning (erlebte Sinnhaftigkeit): Menschen haben das Bedürfnis etwas zu tun, das bedeutungsvoll ist. Etwas als sinnvoll zu erleben ist die Grundlage dafür, sich zu engagieren und dabei eine tiefe Erfüllung zu erleben. Beispiele an Schulen: Bewusstsein für die große Relevanz einer Schule für individuelle Lebenswege, Bewusstsein der Relevanz einer Schule für die Gesellschaft, erkennen, wo durch die Lehrtätigkeit der Lebensweg eines jungen Menschen nachhaltig positiv beeinflusst wurde.
Accomplishment (Zielerreichung): Hierunter versteht man, bewusst wahrzunehmen, dass Ziele oder auch Teilziele erreicht wurden. Diese Erfahrungen brauchen Menschen, um zu erleben, dass sie der Welt nicht hilflos ausgeliefert sind. Nur wenn Menschen die Erfahrung machen, dass Ziele durch ihr eigenes Zutun auch erreichbar werden, machen sie sich auf den Weg. Beispiele für die Schule: Explizites Vorhandensein übergeordneter Ziele einer Schule (z.B. Werteorientierung), Reflexionsphasen zur Einschätzung des Ausmaßes der Zielerreichung, regelmäßiges Feedback auch zu jenen (Teil-)Bereichen, die gut gelaufen sind.
Positive Leadership an Schulen mit PERMA-Lead
Offensichtlich gibt es also Faktoren, die wie Nährstoffe für die menschliche Potentialentfaltung wirken. In der aktuellen Praxis ist Führung, sei dies an Schulen oder anderen Einrichtungen, jedoch häufig nicht auf eine Förderung der PERMA-Faktoren ausgerichtet. Sie ist meist eher defizitorientiert. Wie sehr, wird schon daran deutlich, dass das Feedback, das Mitarbeitende erhalten, überwiegend dann erfolgt, wenn etwas nicht passt. Was bedeuten die PERMA-Faktoren, bezogen auf die Führung einer Schule konkret?
P-Lead: Schulleitungen tragen dazu bei, dass sich Lehrkräfte an der Schule wohlfühlen, zufrieden sind und Freude bei der Arbeit haben
E-Lead: Schulleitungen geben ihren Lehrkräften auch jenseits des Unterrichtens Aufgaben, die ihren individuellen Stärken entsprechen (z.B. Organisation eines Retreats, Förderung von Selbstregulation an Schulen, Mitarbeit bei organisationalen Aufgaben). Sie unterstützen sie zudem dabei, ihre Stärken zu erkennen, einzusetzen und auszubauen.
R-Lead: Schulleitungen setzen sich dafür ein, dass Lehrkräfte wertschätzend miteinander umgehen und sich gegenseitig unterstützen. Sie tragen dazu bei, dass sich möglichst alle Lehrkräfte als Teil des Teams erleben.
M-Lead: Schulleitungen tragen dazu bei, dass Lehrkräfte Sinn in ihrer täglichen Arbeit erleben und dass sie sich immer wieder die Wichtigkeit ihrer Arbeit bewusst machen. Sie vermitteln ihren Lehrkräften, dass sie wertvolle Arbeit leisten.
A-Lead: Schulleitungen freuen sich mit den Lehrkräften, wenn diese Ziele erreicht haben, und loben sie dafür. Sie geben ihren Lehrkräften regelmäßig positives Feedback, wenn etwas erreicht wurde.
PERMA-Lead in der schulischen Praxis
An Schulen ist PERMA-Lead ein noch weitgehend unbekannter Ansatz. Im Wirtschaftsbereich haben jedoch bereits zahlreiche Unternehmen, wie beispielweise Verbund, dM, Lidl, Bosch oder Neuroth ihre Führungskultur nach diesem Ansatz ausgerichtet. Die Herausforderung im Hinblick auf die Implementierung von PERMA-Lead an Schulen ist, dass Schulleitungen die beim PERMA-Modell genannten Faktoren häufig nicht als Ziele guter Führung in ihrem Bewusstsein haben. Sie sehen sich häufig überwiegend in einer Managementrolle, bei welcher Aspekte wie Organisieren, Strukturieren und ähnliche Aufgaben im Vordergrund stehen. Dabei kommt der Leadership-Aspekt oft zu kurz. Das PERMA-Lead Konzept kann eine gute Orientierungshilfe für Schulleitungen geben, um die Potentialentfaltung der Lehrkräfte günstig zu beeinflussen. Aus diesen fünf PERMA-Faktoren lassen sich recht klare Empfehlungen für die Leitungsfunktion in Schulen ableiten.
Praktische Anregungen für Schulleitungen
Positive Emotions
Externes Lob (z.B. von Eltern) weitergeben
Erfolgserlebnisse mit SchülerInnen thematisieren
In schwierigen Situationen den Fokus auch auf das richten, was funktioniert
Engagement
Verantwortung übergeben – auch außerhalb der Jobbeschreibung
Vermitteln, dass auch Neues ausprobiert werden darf – und dabei Fehler passieren können
Selbstwirksamkeitserfahrungen durch Aufzeigen von Gestaltungspielräumen stärken
Relationships
Zeiten und Orte zu haben, in denen unstrukturiert geplaudert werden darf und soll
Geburtstage im kleinen Rahmen feiern
Als Schulleitung proaktiv Probleme zwischen Lehrkräften ansprechen und bei der Lösung unterstützen
Meaning
Ziele gemeinsam erarbeiten um sicherzustellen, dass sie für Lehrkräfte Sinn ergeben
Auch kleine Fortschritte sichtbar machen
Durch aktives Nachfragen erkunden, ob Lehrkräfte bei Teilen ihrer Tätigkeit die Sinnhaftigkeit nicht nachvollziehen können
Accomplishment
Lehrkräften immer wieder aufzeigen, welche (Teil-)Ziele durch ihre Beiträge erreicht werden konnten
Gemeinsame Ziele mit den schulischen Gremien (Elternbeirat, Schulgemeinschaftsausschuss, etc.) formulieren
Persönliche Wachstumsziele (und nicht nur Leistungsziele) mit Lehrkräften definieren und sie im Hinblick auf deren Erreichung unterstützen
Wirkung von PERMA-Lead an Schulen – die Studie
Da PERMA-Lead an Schulen bisher explizit kaum implementiert wurde, mangelt es aktuell noch an Studien zur Analyse von dessen Wirksamkeit. Jedoch lässt sich auf der Basis von Studien in anderen Einrichtungen zumindest vorsichtig darauf schließen, dass auch an Schulen positive Wirkungen dieses Führungsstils auf Lehrkräfte, die Qualität der Schule an sich, aber auch auf die Schulleitungen selbst anzunehmen sind. Mit diesem Beitrag möchten wir dazu anregen, dass Schulleitungen PERMA-Lead an Schulen erproben und evaluieren. Ein erster diesbezüglicher Schritt wird aktuell im Rahmen einer von den uns geleiteten Studie mit dem Titel „Positive Führung an Schulen & Emotionen“ gegangen. Dabei erheben wir einerseits der Status Quo zu Positive Leadership an mehreren Schulen, die Wünsche der LehrerInnen an Führung, sowie die Wirkung von Führung auf konkrete Aspekte wie Emotionen und Selbstwirksamkeitserleben bei Lehrerinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Fazit
„Nicht geschimpft ist genug gelobt“ scheint oft ein gelebter Führungsstandard an Schulen zu sein. Moderne Führung sollte jedoch vom Gedanken der Potentialförderung geprägt sein, also vom Schaffen eines Nährbodens, der zur positiven Entfaltung der Lehrkräfte und auch allen anderen MitarbeiterInnen an Schulen führt. Die Schule als ExpertInnenorganisation verlangt einen spezifischen Umgang mit ihren MitarbeiterInnen. Dabei ist für die Leitung relevant, dass der Expertise dementsprechend Freiraum gegeben wird und die handelnden Personen als ExpertInnen respektiert werden. Insofern kann Führung in Schule nicht direkt mit Führung in anderen klassischen Organisationen verglichen werden. Dennoch: Wenn Schulleitungen mit Positive Leadership aktiv dazu beitragen, dass sich das Potential ihrer ExpertInnen entfaltet, kann das weitreichende und nachhaltige positive Effekte auf Schulen haben: auf die Organisation an sich, auf Lehrkräfte und weitere MitarbeiterInnen, die Schulleitung selbst – und selbstverständlich auf die primäre Zielgruppe der Schulen, die SchülerInnen.
Über die Autor*innen
Dr. Markus Ebner, MSc.
Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells
Er unterrichtet an mehreren Universitäten und Fachhochschulen den Schwerpunkt Führung, hat in diesem Bereich zahlreiche Bücher und Publikationen verfasst und verfügt über Zusatzausbildungen in Coaching, Supervision, Krisenintervention, Sozialpädagogik sowie Organisations- und Teamentwicklung. Neben seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Trainer, Coach und Berater ist er der Begründer des PERMA-Lead Modells und als einer der namhaften europäischen Experten für Positive Leadership im Board of Directors des Österreichischen Dachverbands für Positive Psychologie. 2021 wurde er für seine Arbeit vom Weltdachverband für Positive Psychologie (IPPA) mit dem „Exemplary Research to Practice Award“ ausgezeichnet.
Univ. Prof. Dr. Thomas Götz
Bildungspsychologe - Institutsvorstand an der Universität Wien
Thomas Götz ist Professor für Bildungspsychologie und gesellschaftliche Veränderungen und Vorstand des Instituts für Psychologie der Entwicklung und Bildung an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Emotionsforschung im Lern- und Leistungskontext sowie auf der Echtzeiterfassung emotionalen Erlebens mit Hilfe der Experience-Sampling-Methode. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und Mitherausgeber von Fachzeitschriften. Kürzlich wurde er als einer der weltweit produktivsten Wissenschaftler*innen bezüglich Publikationen in der pädagogischen Psychologie ausgezeichnet.