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5 wissenschaftlich bestätigte Gründe, warum man Stärken stärken soll

Dr.  Markus Ebner ,  MSc.

Dr.  Markus Ebner ,  MSc.

Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells

Wann haben Sie das letzte Mal etwas getan, das Sie völlig absorbiert hat? Also eine Situation, in der Sie komplett eins geworden sind mit dem, was Sie gemacht haben, Sie völlig auf die Zeit vergessen haben und alles andere ausgeblendet haben? Meist sind es Situationen, die ein bestimmtes Maß an Herausforderung bedeuten, in denen wir aber unsere eigenen Kompetenzen und Stärken einbringen können, um die Situation erfolgreich zu meistern.

Diese Mischung bewirkt, dass Menschen (für ihre jeweiligen Verhältnisse) Höchstleistungen vollbringen. Und genau darum geht es, wenn wir bei PERMA-Lead Positive Leadership von Engagement sprechen.

Doch wie häufig können MitarbeiterInnen ihre Kompetenzen und Stärken tatsächlich am Arbeitsplatz einbringen? Antworten dazu geben Gallup-Studien, bei denen in Summe mehr als 1,7 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Frage gestellt bekamen „Haben Sie bei Ihrer Arbeit die Gelegenheit, jeden Tag das zu tun, was Sie am besten können?“. Das Resultat: Nur 20 Prozent der MitarbeiterInnen haben das Gefühl, täglich ihre Stärken einsetzen zu können! 

Einer der Gründe für das Ergebnis dieser Gallup-Studie ist jener, bei dem Führungskräfte ansetzen können. In zahlreichen Unternehmen ist Personalentwicklung nämlich überwiegend schwächenorientiert. Kein Wunder, zeigt doch eine weitere Studie, dass ein Großteil der Manager der Überzeugung ist, dass der größte Spielraum für Leistungssteigerung bei Menschen dort liegt, wo sie Schwächen haben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren sogenannte Entwicklungsfelder identifiziert wurden, werden auf Seminare geschickt, bekommen Coachingeinheiten bezahlt und möglicherweise Mentorinnen oder Mentoren an die Seite gestellt, die sie bei der Entwicklung unterstützen. Diesem Teil des Vorgehens ist nichts vorzuwerfen, ganz im Gegenteil. 

Mein Kritikpunkt jedoch ist, dass dabei oft keine Stärken identifiziert und weiterentwickelt werden. Mitarbeiterentwicklung orientiert sich daher meist an einer Entwicklung bis zur Unauffälligkeit. Selbst wenn MitarbeiterInnen als „Potenzialträger“ identifiziert werden, sind spezifische Weiterbildungsprogramme doch meist darauf ausgelegt, sie in dem weiterzubilden, was noch fehlt, um beispielsweise eine Managementposition zu besetzen. Selten fokussieren die Programme auf das Finden und Integrieren individueller Stärken. Seine Stärken in der Arbeit einsetzen zu können bedeutet aber, sich nicht verbiegen zu müssen um erfolgreich zu sein. Stärken einsetzen zu können bringt Energie. Sich verbiegen zu müssen kostet Energie. 

Schon der weltbekannte Ökonom Peter Drucker meinte zu dem Thema: „Jede personelle Einschätzung und Beurteilung muss sich in allererster Linie darauf beziehen, wozu ein Mensch in der Lage ist. Ein Mitarbeiter sollte daher niemals mit einer Führungsaufgabe betraut werden, wenn er sich mit den Kompetenzdefiziten seiner Leute abplagt, statt deren Stärken zu nutzen.“

Doch welche Stärken gibt es überhaupt? Die Modelle dazu sind unterschiedlich. Für die Praxis in Unternehmen bieten sich ausgezeichnet die 24 VIA-Stärken an. Sie sind wissenschaftlich gut abgesichert sind und man kann sie kostenlos und online an der Universität Zürich testen (www.charakterstaerken.org).

Die für Unternehmen und Organisationen relevante Forschung bestätigt eindeutig: Ein stärkenorientierter Führungsstil bietet messbare Vorteile für das gesamte Unternehmen. 5 ausgewählte Forschungsergebnisse dazu möchte ich Ihnen vorstellen.

Grund 1:

Stärkenorientierung beeinflusst die Fluktuation

Studien belegen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihrer Einschätzung nach ihre Stärken in der Arbeit einbringen können, mit 50 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit in Abteilungen mit geringerer Personalfluktuation und zu 34 Prozent in Geschäftsbereichen mit höherer Kundenzufriedenheit arbeiten. Das zeigt, dass Stärkenorientierung ein hoch relevanter Faktor bei der Entscheidung über den Verbleib auf dem derzeitigen Arbeitsplatz ist. 

Grund 2:

Stärkenorientierung erhöht den Flow und damit die Arbeitszufriedenheit

Für ein paar Minuten oder gar Stunden in einer Sache aufzugehen und dabei völlig Zeit und Raum zu vergessen – ein Gefühl, das Sie bestimmt auch kennen. Mihály Csíkszentmihályi, emeritierter Professor an der University of Chicago, nennt diesen Zustand „Flow-Erleben“. Die Zutaten, die diesen Zustand auslösen, sind durch die Forschung mittlerweile hinlänglich bestätigt. Es braucht ein optimales Verhältnis zwischen dem was man kann und der gestellten Herausforderung. Also ein Einsatz der eigenen Stärken in einer Situation, die durchaus als herausfordernd aber nicht als überfordernd oder unterfordernd erlebt wird. In einer besonders aufwändigen Studie wurde an der Universität Singapur dieser Flow-Effekt im Arbeitsleben untersucht.

Dazu mussten Personen während ihrer Arbeit über einen längeren Zeitraum regelmäßig angeben, wie ihre momentane Verfassung bezüglich Flow ist. Am Ende jedes Arbeitstages füllten die Teilnehmenden einen zusätzlichen psychologischen Fragebogen aus. Das Ergebnis zeigt, dass das Flow-Erleben während des Arbeitstages einen starken Einfluss darauf hat, wie der emotionale Zustand und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ende eines Arbeitstags sind. Je mehr Flow während der Arbeit, desto besser die Auswirkungen! 

Grund 3:

Stärkenorientierung steigert die Leistung

In einer weltweiten Studie wurde bei über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern untersucht, welche arbeitsplatzrelevanten Auswirkungen es hat, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Stärken am Arbeitsplatz einsetzen können. Die Ergebnisse zeigen, dass diese messbar mehr Leistung und positiveres arbeitsbezogenes Verhalten sowie weniger unternehmensschädigende Verhaltensweisen zeigen, wenn sie ihre Signaturstärken einsetzen können. Das gleiche Forscherteam zeigte übrigens in einer anderen Studie, dass Führungskräfte durch die Unterstützung, die sie geben, einen maßgeblichen Einfluss darauf haben, in welchem Umfang Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Stärken ausleben. 

Grund 4:

Stärkenorientierung senkt unternehmensschädigendes Verhalten 

In einer großangelegten Studie teilten die Forscher über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in drei Kategorien ein:

  • jene, die der Ansicht waren, dass sich ihre Führungskraft hauptsächlich auf die Stärken der MitarbeiterInnen konzentriert;

  • jene, die der Ansicht waren, dass sich ihre Führungskraft hauptsächlich auf die Schwächen der MitarbeiterInnen konzentriert;

  • jene, die das Gefühl hatten, dass sich ihre Führungskraft weder auf Stärken noch auf Schwächen konzentriert (MitarbeiterInnen werden ignoriert).

Die Ergebnisse waren beeindruckend: Nur einer von hundert MitarbeiterInnen, deren Führungskraft ihrer Wahrnehmung nach Stärken und positive Charaktereigenschaften fokussiert, legte unternehmensschädigendes Verhalten an den Tag. Ganz anders sieht diese Zahl bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus, die der Meinung waren, dass ihre Führungskraft überwiegend Schwächen und negative Charaktereigenschaften fokussiere. In dieser Gruppe zeigten bereits 22 Prozent ein aktiv unternehmensschädigendes Verhalten.

Das Spannende an dieser Studie ist allerdings, dass noch eine dritte Gruppe von MitarbeiterInnen identifiziert wurde. Nämlich jene, die sich von ihrer Führungskraft ignoriert fühlen. In diesem Fall fokussiert die Führungskraft also weder Stärken noch Schwächen oder bestimmte Eigenschaften – die MitarbeiterInnen fühlen sich von ihnen gar nicht wahrgenommen. In dieser Gruppe wiesen unglaubliche 40 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unternehmensschädigende Tendenzen auf. Was sagen diese Ergebnisse für den täglichen Führungsalltag aus? Es ist ein klarer Auftrag an Führungskräfte, mit ihren MitarbeiterInnen in einer regelmäßigen Kommunikation zu bleiben und Feedback zu geben. Keine Rückmeldungen zu geben, nur weil es nichts zu beanstanden gibt, scheint offensichtlich ein weitaus schädlicheres Führungsverhalten zu sein als negatives Feedback zu geben.

Grund 5:

Stärkenorientierung bei Mitarbeitern wirkt sich auf den Einkauf von Kunden aus

In unseren eigenen Studien konnten wir feststellen: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben, dass sie an ihrem Arbeitsplatz ihre Stärken leben können, hat das einen messbaren Einfluss auf das Einkaufsverhalten von KundInnen. Um diesen Zusammenhang zu messen untersuchten wir, ob in Geschäften, in denen KundInnen überdurchschnittlich viel einkaufen MitarbeiterInnen auch überdurchschnittlich häufig erleben, dass sie ihre Stärken am Arbeitsplatz einsetzen können. Das Ergebnis spricht für sich: Dort wo KundInnen überdurchschnittlich viel einkaufen, beschreiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine um ganze 9 Prozentpunkte höhere Wahrnehmung, ihre Stärken ausleben zu können. Stärkenorientierung ist somit ein Gewinn für MitarbeiterInnen als auch für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens selbst.

Über den/die Autor*in

Dr. Markus Ebner, MSc.

Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells

Er unterrichtet an mehreren Universitäten und Fachhochschulen den Schwerpunkt Führung, hat in diesem Bereich zahlreiche Bücher und Publikationen verfasst und verfügt über Zusatzausbildungen in Coaching, Supervision, Krisenintervention, Sozialpädagogik sowie Organisations- und Teamentwicklung. Neben seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Trainer, Coach und Berater ist er der Begründer des PERMA-Lead Modells und als einer der namhaften europäischen Experten für Positive Leadership im Board of Directors des Österreichischen Dachverbands für Positive Psychologie. 2021 wurde er für seine Arbeit vom Weltdachverband für Positive Psychologie (IPPA) mit dem „Exemplary Research to Practice Award“ ausgezeichnet.